Die Gefühle im Jetzt

Es gibt mehrere Gründe, den gegenwärtigen Moment mit dem Bewusstsein und der Aufmerksamkeit zu meiden.

Da wären als erstes die Gefühle, welche die Tendenz haben, im Jetzt nach oben zu drängen.

Es sind unangenehme Gefühle.

Sie kommen immer dann, wenn die Bindung der Aufmerksamkeit an Aktivität oder Unterhaltung mal für einen Moment unterbrochen wird, zum Beispiel, wenn man irgendwo unverhofft warten muss oder wenn man abends nicht einschlafen kann.

Es sind Gefühle, welche Abweichungen von einem wirklich erfüllten und glücklichen Leben anzeigen:

  1. Sinnlosigkeit und Trostlosigkeit - das Fehlen eines Lebenssinns: Was ist eigentlich der Sinn des Lebens? Zum Glück hatte ich ein paar Kapitel früher die eine Wahrheit für alle bereits abgeschafft (die objektive Wahrheit), so dass sich das jetzt jeder selbst fragen kann, um dann eine Antwort zu finden, die ihn wirklich begeistert. Für mich ist der Sinn des Lebens, mich zu entwickeln und zu entfalten zu immer mehr Freude, Energie und Erfüllung und dabei immer mehr ich selbst zu werden. Dazu gehört für mich noch, interessante Aufgaben und große Visionen zu haben. Zusammen mit dem Wissen, dass der Entfaltung des Menschen keine real existierenden Grenzen gesetzt sind, ist das eigentlich ein ganz ordentlicher Sinn.
  2. Langeweile, Tristesse, Energielosigkeit - das Fehlen interessanter Handlungsmöglichkeiten: Denn nicht nur der Sinn ist wichtig, sondern auch, dass es möglich ist, etwas dafür zu tun, das auch noch Freude macht bzw. überhaupt etwas zu tun, das Freude macht.
  3. Ohnmacht: unangenehmen Lebensumständen machtlos ausgeliefert sein

Das wäre der Inhalt dieser Gefühle. Selbstverständlich können da individuell verschieden noch viele andere Gefühle sein, aber die genannten sind recht oft vertreten.

Nun ist das Problem in einer materiellen Weltsicht, dass Erfahrungen wie diese Gefühle für bare Münze genommen werden. Man glaubt, was man da fühlt und beginnt auf die verschiedenste Weise zu reagieren:

1. Man versucht die Gefühle irgendwie zu überspielen.

2. Man strengt sich an, den Zustand zu beseitigen.

Über ersteres hatten wir schon ausführlich geredet: Das Durchleben einer Erfahrung erhellt ihren Hintergrund. Wenn man sich vor der Erfahrung drückt, erfährt man auch nichts über ihre Ursachen.

Auch über den zweiten Punkt hatten wir schon gesprochen: Indem man sich anstrengt, das wegzumachen, reagiert man auf die Ideen hinter den Gefühlen und dadurch entwickelt sich das. Ich möchte trotzdem die Gelegenheit nutzen, diesen zweiten Punkt noch einmal aus einem anderen Blickwinkel in einem kleinen Frage-Antwort-Spiel darzustellen, weil es so wichtig ist, das zu verstehen:

Man erfährt also Sinnlosigkeit, Tristesse und Ohnmacht. Ist es nicht absolut logisch, sich dann anzustrengen, das zu ändern?

Nein. Denn das Leben ist nicht so. Es sind nur Erfahrungen. Es ist keine Realität. Man erfährt es, aber das bedeutet nicht, dass es so ist. Es stimmt ganz einfach nicht. Das Leben ist von sich aus ohne jede Anstrengung voller Sinn, Energie und Macht. Das ist die Wahrheit.

"Ja aber was nützt mir dieses Wissen? Ich erlebe sie doch in meinem Alltag, diese Gefühle - also sind sie doch für mich real!"

Na ja, würdest du sie wirklich durchleben, dann wären sie irgendwann weg und dann würde sich wieder zeigen, dass das Leben überhaupt nicht so ist. Die Erfahrungen würden einfach durchziehen.

Es zu Durchleben schließt hier übrigens ein, dabei den eigenen Wünschen und dem Willen zu folgen, denn das ist das natürliche Verhalten. Es ist kein vollkommen tatenloses Durchleben.

Die Anstrengungen die unangenehmen Gefühle wegzubekommen dagegen sind nicht Willens-getrieben. Sie sind von unangenehmen Gefühlen getrieben. Das ist ein Unterschied. Und was ein Handeln treibt ist für die Resultate des Handelns entscheidend.

"Ja aber wenn ich dabei meinen Wünschen und meinem Willen folge, mache ich dann nicht auch Anstrengung und Bemühungen, es zu ändern?"

Nein, denn da geht es um ein anstrengungsloses Handeln. Die Herausforderung an diesem Handeln besteht darin, sich mit bestimmten Situationen und Gefühlen zu konfrontieren - nicht in Anstrengung. Das kann zum Beispiel bedeuten, in einer Situation absoluter Tristesse und gefühlter Sinnlosigkeit die Aufmerksamkeit auf eine Handlung zu lenken, die man wirklich gerne ausführen würde - ohne dabei auch nur im geringsten die unangenehmen Gefühle ändern zu wollen. Man geht genau durch diese Gefühle mitten hindurch. Und auf der anderen Seite findet man Sinn, Kreativität und Freude.

"Aber meine vollgepackten Tagespläne machen doch auch all die unangenehmen Gefühle weg, wieso soll sich daran überhaupt etwas ändern?"

Es ist ein entscheidender Unterschied, ob Aktivität diese Gefühle verdeckt oder ob sie auf einer Grundlage stattfindet, wo solche Gefühle gar nicht da sind oder zumindest hoch kommen dürfen, wenn sie zeitweise da sind.

Gut. Aber das war jetzt genug Theorie zu diesen Gefühlen. Was kann man denn ganz praktisch tun?

Der praktische Vorschlag ist, sich ab und zu Zeit zu nehmen, die Gefühle des gegenwärtigen Moments einfach nur hochkommen zu lassen, so wie sie sind:

Dabei geht es um ein ganz passives hochkommen lassen. Man muss nichts damit machen. Und vor allem braucht man auch nicht darauf reagieren. Das Durchleben dieser Gefühle setzt weitreichende Veränderungsprozesse in Gang. Das wirkt auch ohne dass man etwas tut.

Das Ganze sollte sehr locker und ohne große Zwänge durchgeführt werden und besser auch keine festen Zeit- und Übungspläne. Wichtig ist der Entschluss, sich das Terrain der Gefühle des gegenwärtigen Moments schrittweise zu erschließen, so wie man eben individuell dazu in der Lage ist.

Und noch ein praktischer Tipp: Mir hilft es, wenn ich dabei Wasser trinke. Für mich war die unangenehmste Zeit immer die Zeit nach dem Mittagessen. Da erschien mir mein Leben besonders öde und trist und es erschien auch besonders unmöglich, in dieser Zeit irgendetwas zu machen, das mir wichtig ist. Es hat eine Weile gedauert, ehe ich überhaupt fähig war, mich dieser Phase des Tages ohne Aufputscher und kleine Freuden wie Kuchen zu stellen.

Inzwischen bin ich auch in dieser Phase voll handlungsfähig - ohne Aufputscher und Ersatzfreuden. Ich kann in dieser Zeit sogar sehr produktiv und kreativ an meinen Büchern schreiben und das war die größte Herausforderung. Dabei war es sehr hilfreich, einfach Wasser zu trinken. Ich trank nach dem Mittagessen teilweise bis zu 2 Liter klares Wasser in wenigen Stunden. Und ich habe das Gefühl, es unterstützt diesen Prozess, wie wenn das Wasser die festgebackenen Gefühle zum Fließen bringt. Aber es sollte Wasser sein, denn alles andere wie Tee, Kaffee, süße Getränke, Bier und Wein geht schon wieder in die Kategorie Stimmungsmacher. Und das Ziel ist ja, sich der ungeschminkten Alltagsrealität so wie sie momentan verwirklicht ist zu stellen - so ungeschminkt und rein, wie klares Wasser eben.

Natürlich ist die Zeit nach dem Mittagessen auch eine gute Zeit für Pause und Entspannung. Aber es ist ein Unterschied, ob man die Wahl hat, diese Zeit für Entspannung oder andere Dinge zu nutzen - so wie man es will oder ob man außer Pause nichts mit dieser Zeit anfangen kann, weil sie so trist ist.

Und es ist auch ein Unterschied ob eine Entspannung tatsächlich eine Entspannung ist oder nur ein Abschalten des Bewusstseins, weil es gerade so unerträglich ist.

Es sei an dieser Stelle noch auf einen Spezialfall dieser Gefühle hingewiesen: der Kater nach Euphoriephasen:

Man hatte einen Erfolg oder man ist einfach so überglücklich oder etwas hat einfach so perfekt funktioniert. Man verbringt eine Zeit in einer sehr euphorischen Stimmung. Und dann kommt er irgendwann: der emotionale Absturz. Gerade war alles noch so schön und es sah so aus, als wären alle Probleme endgültig gelöst und nun erscheint es doch wieder so sinnlos und trist.

Es ist von größter Wichtigkeit, sich dem Tief nach einem Hoch zu stellen. Die Boulevard-Zeitungen sind voll von den Eskapaden, welche prominente Künstler unternehmen, weil sie mit den Löchern zwischen ihren Erfolgen nicht klarkommen.

Nun ist es natürlich völlig normal, dass sich wie überall im Universum Anspannung und Entspannung - hoch und tief - ablösen. Aber bestimmte einschränkende Ideen im Glaubenssystem können eben dazu führen, das sich diese Entspannungs- oder Ruhephasen zu emotionalen Krisen auswachsen. Diesen Krisen gilt es sich zu stellen. Dann werden sie die Erkenntnisse zu ihrer Lösung offenbaren.

nächstes Kapitel: Spontaneität (Gegenwart)